Entwicklungsräume für Kinder
Zurzeit werden überall Kindertagesstätten gebaut. Sieht man die Ergebnisse, taucht oft die Frage auf, für wen wurde da gebaut?
Die Kindertagesstätte hat die Aufgabe, Raum für eine gesunde körperliche, soziale und geistige Entwicklung der Kinder zu schaffen. Ein Raum, in dem die ErzieherInnen die Kinder im Vorschulalter in ihrer Entwicklung begleiten, sich in der Welt einzuleben und sie begreifen zu können.
Die Architektur ist bisher nur in wenigen Bereichen über die Erfüllung funktionaler Anforderungen hinausgekommen. Nur in der Reggio- und Waldorfpädagogik finden wir Gestaltungsansätze, die sich aus der Pädagogik heraus entwickelt haben. Mit diesem Beitrag soll die Beziehung zwischen dem Kind und der Architektur und ihre pädagogische Wirkung dargestellt werden. Dies ist umso wichtiger, da sich in den letzten Jahren das Entwicklungsumfeld der Kinder von der familiären Erziehung hin zu Krippen- und Ganztagesbetreuung verschoben hat.
Zunächst möchte ich etwas tiefer in die Grundlagen in Pädagogik und Menschenorganisation einsteigen, um dann die Auswirkung und Anforderungen auf die Architektur zu verstehen.
Geschichte
Was wir heute als Kindertagesstätte verstehen, umfasst den Bereich des früheren Kindergartens für Kinder ab 3 bis 6 Jahren sowie der Kinderkrippe von der Geburt bis zu 3 Jahren. Geschichtlich gehen beide Einrichtungen auf den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Während die Kinderkrippen sich aus den Säuglings- und Kinderheimen für die Armen und Waisen entwickelt haben, hat sich der Kindergarten aus einem erziehungspädagogischen Ansatz heraus entwickelt. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde durch Friedrich Wilhelm August Fröbel der erste Kindergarten in Deutschland begründet. Ziel war es, die Familie in der Erziehung der Kinder zu unterstützen.
Anfang des 20. Jahrhunderts kamen aus der Reformpädagogik neue Impulse. So hat Rudolf Steiner in verschiedensten Schriften sich zur Entwicklung des Kindes und zur Pädagogik geäußert. Aber auch Maria Montessori hat durch ihre Beobachtungen die Entwicklungen in der Pädagogik beeinflusst.
Im Nationalsozialismus und später auch in der DDR wurde der Erziehungsauftrag ideologisch missbraucht. In den Nachkriegsjahren war durch die zerbrochen Familien und der Notwendigkeit, dass die Frauen arbeiten mussten, die Betreuung der Kinder ein wesentlicher Schwerpunkt der Kindergärten.
Pädagogik
Das pädagogische Konzept bestand darin, die Kindern für ein Leben in der Gesellschaft zu erziehen und auf die Schule vorzubereiten. Erst in den sechziger und siebziger Jahren wurden weitere entwicklungspsychologische Gesichtspunkte in die Pädagogik integriert. Hier seien nur die Impulse der Reggiopädagogik aus Italien genannt. Für den Krippenbereich hat die Kinderärztin Emilia Pickler durch ihre Beobachtungen an Heimkindern wesentliche Impulse gegeben. Durch die neue pädagogische Bewertung wurde der Kindergarten 1970 zur ersten Stufe des Bildungssystems erklärt. Die Ansätze zur Krippenpädagogik heute beruhen im Wesentlichen auf der pädagogischen und psychologischen Beobachtung der kindlichen Entwicklung. Die Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse ist somit Grundlage für die verschiedensten pädagogischen Konzepte im Krippenbereich. Im „Das Kinder-und Jugendhilfegesetz“ (KJHG 2007) §1 heißt es „jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Dies ist nun gesellschaftlicher Konsens.
Der Mensch ist in vielerlei Hinsicht eine Frühgeburt und deswegen nicht determiniert und so offen in seiner Entwicklung! Damit sich die Kinder entfalten können, brauchen sie Schutz, Geborgenheit und Wärme in ihrem Umfeld, in Fortführung der Mutterhülle. Hilfreich ist hier das anthroposophische Menschenbild Rudolf Steiners, das aus geisteswissenschaftlicher Sicht dem Entwicklungsprozess des Menschen noch weitere Gesichtspunkte hinzufügen kann. So können wir den ganzen Entwicklungsprozess auch als Inkarnationsprozess verstehen. Das Kind als geistiges Wesen arbeitet sich in seinen Körper hinein.
Rudolf Steiner führt dazu im Vortrag „Pädagogik und Moral“ 3/1923 (Anthroposophischer Menschenkunde und Pädagogik) aus, dass die ersten drei Lebensjahre wichtiger sind als alle folgenden Entwicklungsphasen. Er weist auf die Wichtigkeit des Gehenlernens, Sprechenlernens, und Denkenlernens hin und wie sich das Kind in die Welt hineinorganisiert. Durch das Einleben in die Welt so Steiner, werden die inneren Organe als Grundlage für das Menschliche sein ausgebildet. Dann bis zum Zahnwechsel lebt das Kind ganz hingegeben in seine Umgebung. Als nachahmendes Wesen macht es die Außenwelt zu einem Teil seines Selbst. Hier sei noch einmal Steiner zitiert „ Es will nachahmen was der Erwachsene tut. Worauf es beim Kindergarten gerade ankommt, das ist, dass das Kind nachahmen muss das Leben“. (In „Die Pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis“,. Vortrag „Spiel und Arbeit“, 18.4.1923)
Die wissenschaftlichen Beobachtungen der Hirnforschung in den letzten Jahren bestätigt diese Erkenntnis. Die Wichtigkeit der frühkindlichen Erfahrung für die Entwicklung im späteren Leben wurde in unserer Zeit systematisch erarbeitet. Alle Organe und Sinne bilden sich an der Umwelt. Auch das menschliche Gehirn erhält in dieser Zeit seine inneren Ausprägungen und Vernetzungen. Dies wird heute durch die Entwicklungs- und Gehirnforschung z.B. durch Gerald Hüther auch bestätigt.
In der Lebensphase von eins bis sieben Jahren, also im Elementarbereich, können wir zwei wesentliche Entwicklungsschritte beobachten. In den ersten drei Jahren ergreift das Kind seinen Leib. Es entwickelt sich vom hilflosen, auf dem Rücken liegenden, Wesen zum eigenständigen, sich im Raum bewegenden, Menschenkind. In der Lebensphase von drei bis sechs Jahren fängt das Kind an, die Welt zu begreifen, zu erfahren, zu erobern. Diese Entwicklung vollzieht sich nicht linear, sondern in Entwicklungszyklen, in Metamorphosen, die nach Erreichen eines Entwicklungsstandes sich in verwandelter Form fortsetzen.
Im ersten Lebensabschnitt des Menschen zwischen der Geburt und dem dritten Lebensjahr erlangt das kleine Kind die motorische Herrschaft über die Gliedmaßen. Hat es diesen Schritt erreicht, wird es versuchen, sich fortzubewegen, zu krabbeln, sich aufzusetzen und mit unermüdlicher Aktivität zu stehen und in den aufrechten Gang zu kommen. Dieser Erwerb der menschlichen Grundhaltung ist ein ständiger Kampf gegen die Schwerkraft. Durch diese Tätigkeit werden bis in das Physische hinein die Organe umgestaltet und an den aufrechten Gang angepasst. Das Kind hat dadurch die Freiheit gewonnen, mit den Händen schöpferisch frei zu agieren. Dies ist die Grundlage für die Ausübung aller menschlicher Fähigkeiten, des Erlernens der Sprache und drauf aufbauend des Denkens.
Um diesen Impuls im Kind zu erwecken, ist der erwachsene Mensch das Vorbild, der in seiner Ichhaftigkeit diese Überwindung der Schwerkraft erlebbar macht. Ohne Menschen in seinem Umfeld, die den Impuls dazu geben, wird es diese Anstrengung nicht unternehmen. Das Stehen auf der Erde stärkt das Urvertrauen. Die Erde trägt mich. Immer wird die Entwicklung aus eigenem Antrieb weiter geführt, es gibt keinen Stillstand. Ist das Gleichgewicht erobert, werden schon die ersten Schritte unternommen. Sobald die Welt ergriffen werden kann, werden erste Begriffe gebildet, die die Grundlage für das Denken sind. So kommt dem Be-greifen im wahrsten Sinne eine grundlegende Bedeutung zu. Das Kind entwickelt seine eigene Sprache, um sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen. So stellt es sich in die Kultur, in die es geboren wird, hinein.
Im zweiten Entwicklungsschritt also in der Zeit von drei Jahren bis zum Zahnwechsel bzw. Schulbeginn, wenn das Kind sich als Ich erleben kann, ist es reif für den „Kindergarten“. Die Kinder öffnen sich der Welt. Sie brauchen den Erwachsenen als Vorbild, um sich in der Nachahmung daran weiter zu entwickeln. Dadurch werden die Sinne und Fähigkeiten ausgeprägt, um sich in die Welt zu stellen. Durch die Sprache und deren rhythmisch musikalische Qualität erlebt das Kind auch die differenzierten seelischen Äußerungen des Erwachsenen. Für diese Eigenentwicklung benötigt das Kind Vorbilder, aber eben auch Zeit und Raum und Anregung aus der Umwelt. Mit dem Zahnwechsel kommt dann dieser Organbildeprozess zu einem gewissen Abschluss.
Die Beziehung von Mensch und Raum
Dieser Prozess wird im durch die Menschen im Umfeld, durch Eltern, die ErzieherInnen und auch durch die Architektur ermöglicht. Die Räume bilden nicht nur die dritte Haut des Menschen, sondern wirken auch auf das Kind ein.
Diese spannende Wechselwirkung zwischen Eigenaktivität und Impulsen aus der Umwelt hat dazu geführt, dass der Raum inzwischen als dritter Erzieher anerkannt wird. 2008 im Wettbewerb des von „Invest in Future“ ausgelobten Preises für innovative Pädagogik ist der Raum als dritter Erzieher thematisiert. Dieser Aufgabe entsprechend muss die Architektur gestaltet sein.
Gerade in unserer heutigen Zeit, in der die grundlegenden Erfahrungsmöglichkeiten der Kinder durch unsere Kultur stark eingeschränkt werden, kommt der Architektur eine wichtige, die Pädagogik unterstützende Aufgabe zu. Sie muss das natürliche Lebensumfeld kompensieren.
Trotz vieler Debatten über pädagogische Konzepte und Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung werden die räumlichen Voraussetzungen häufig nicht diskutiert. Die Bedürfnisse der Kinder müssten aber die Grundlage für die qualitativen Anforderungen an die Räume sein.
Wie wirkt die Architektur auf die Kinder in verschiedenen Bereichen?
Die Brücke sind hier unsere Sinnesorgane mit denen wir die physische Welt wahrnehmen und uns mit der Welt verbinden.
Das folgende Schaubild soll die Beziehung verdeutlichen. Es beruht auf den Darstellungen Rudolf Steiners, der den menschlichen Leib in drei Bereiche, Kopf, Brust und Gliedmaßen gliedert. Mit seinen Gliedmaßen stellt sich der Mensch in die Welt hinein, verbindet sich mit ihr. Im Brustbereich, – dem rhythmischen System mit Herz und Lunge – entwickelt sich das seelische Eigenleben, eine erste Freiheit wird erlangt. Das Entwickeln von Begriffen und Vorstellungen steht mit dem Kopf in Beziehung. Hier erkennen wir wieder den Dreischritt, wie er oben schon beschrieben wurde.
Diesen drei Bereichen können wir Sinneorgane zuordnen. Dazu können wir auf die Sinneslehre R. Steiners in „Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik“ zurückgreifen, in welcher er zwölf Sinne entwickelt und mit dem Leibe in Beziehung setzt. Willi Aeppli hat in seinem Buch „Sinnesorganismus, Sinnesverlust, Sinnespflege“ diese Beziehungen detailliert erarbeitet. Es wird dargestellt, dass das Kind in diesem Alter mit seinem Organismus ganz SINN ist. Dabei ist zu bemerken, dass Sinneswahrnehmung nicht eindimensional sind, mindestens zwei weitere Sinne schwingen mit. Durch ein Verständnis der Beziehung von Wahrnehmung auf unseren Leib, können wir dann Rückschlüsse auf die architektonischen Qualitäten ziehen.
Es sind die physisch willensorientierten und basalen Sinne, der Tastsinn, der Lebens- oder Vitalsinn, der Gleichgewichtssinn und der Bewegungssinn, die sich in den ersten drei Jahren zuerst entwickeln und die Grundlage für die Weiterentwicklung schaffen. Die Entsprechung in der Architektur für diese Bereiche sind Oberfläche, Materialqualität, Baubiologie, Konstruktion, Statik und Bewegungsdynamik. Es sind die Oberflächen mit denen der kleine Mensch als erstes einen direkten Kontakt bekommt, um die Welt zu begreifen. Die Materialqualitäten müssen ehrlich und authentisch sein, ansonsten werden die Sinne korrumpiert. Wie kann sich an einem Buchenholz- Kunststoffimitat die Materialqualität von Holz herausbilden? Die Oberfläche ist immer gleich glatt und abweisend, der Klang dumpf. Wie schön kann da ein Stück Buchenholz sein, das mit geölter Oberfläche und seinem Klang seine innere Struktur verrät. Aber auch die gesundheitlichen Aspekte sind zu betrachten, denken wir nur an die Weichmacher in Kunststoffen oder giftigen Farben. Nehmen wir die Vorgaben aus der Pädagogik ernst, können wir solche Dinge nicht einsetzen.
Die Konstruktion in ihrer tragenden und statischen Funktion soll ehrlich und nachvollziehbar sein. Die Senkrechte muss betonen werden, um dem Kind die Wahrnehmung für die eigene Aufrechte zu ermöglichen. Die Raumesrichtungen von vorn und hinten, rechts und links, oben und unten müssen sich eindeutig zeigen, um Halt und Orientierung für die ersten Bewegungen zu geben. Die Maßstäblichkeit der Architektur und ihrer Proportion sollte sich an den Gesetzmäßigkeiten des erwachsenen Menschen orientieren. So entwickeln die Kinder Urvertrauen an ihre Umwelt. Für die Ausbildung des Gleichgewichtssinnes in der ersten Phase ist ein fester Standpunkt Voraussetzung. Nur so kann die Raumesorientierung gelingen. Die Grundrissfläche sollte also überschaubar und am Besten symmetrisch orientiert sein. Natürlich entwickeln sich in dieser Zeit auch gefühlorientierten Sinne. So ist eine gute Akustik Voraussetzung, um sich zu verstehen und die Sprache zu erlernen.
Manche gut gemeinten Versuche, kindgerechter Architektur wie eine Kita als untergehendes Schiff -Kita in Stuttgart Sonnenberg von Benisch – oder, eine kindliche „Zwergen-Architektur“ zu gestalten, sind für die Entwicklung schädlich. Sie stören die Sinnesentwicklung mit ungeahnten Folgen.
Warum sind die Anforderungen heute so hoch? Früher haben sich die Kinder doch auch gut entwickelt? Die Kindertagesstätte muss heute das in unserer Gesellschaft und Zivilisation fehlende natürliche Lebensumfeld kompensieren. Eine geistig erfüllte künstlerische Gestaltung, die sinnvoll und nachvollziehbar ist, ist dafür notwendig. Der von den Erziehern ergriffene Lebensraum wird zum Vor-Bild und impulsiert eigene Schöpferkräfte.
Raumkonzept für die Krippenkinder
Der Raum soll Sicherheit, Halt und Orientierung bieten, Anregung und Impulse geben und Aufforderungscharakter zu eigenem Handeln haben. Aus der Pädagogik ergeben sich für den Kleinkindbereich drei Zonen, die unterschiedlich zu gestalten sind, den Aktivbereich, den Pflegebereich und den Ruhe-/Schlafbereich, gegliedert in mindestens zwei Räumen.
Der Bewegungsbereich mit Treppen und Rampen hat für Kinder in diesem Alter eine besondere Anziehungskraft.
Die Architektur muss zum Erlebnisspiegel des eignen Leibes werden, um die Sinne richtig zu entwickeln und fürs Leben zu eichen. Für die Krabbelkinder sollte dieser Raum noch einmal begrenzt werden, damit sie sich nicht verlieren. Einrichtungen nach Emilie Pickler bieten weitere Impulse, sich zu betätigen.
Der Pflegebereich als geschützte Zone, mit dem Wickeln sollte gut geplant sein. Das ist der Bereich an welchem das Kind ganz alleine die Aufmerksamkeit der Erzieherin erfährt. Es sollte alles so platziert sein, dass durch die Routinehandlungen keine Ablenkung erfolgt. Muss die Erzieherin die Kinder auf dem Wickeltisch heben? Bei zehn Kindern ist das schon eine erhebliche Belastung. Da ist es gut, wenn die größeren schon alleine mit einer kleinen Treppe auf den Wickeltisch steigen können. Das Kind sollte im Liegen oder Stehen gewickelt werden können. Der Waschtisch sollte nahe bei sein. Die Wechselkleidung und Windeln sind in den Schulbaden unter dem Wickeltisch für jedes Kind, also in Griffweite. Wärmelampe über dem Wickelplatz für die kleinen, wenn alles gut organisiert ist, kann sich die Erzieherin ganz auf den Kontakt mit dem Kind konzentrieren.
Foto Wickelbereich geschlossen und offen
Der Schlaf- und Ruhebereich soll durch Stoffe und eine akustisch wirksame Decke gedämpft und durch Vorhänge oder Rollos verdunkelbar sein. Jedes Kind hat seinen eigenen individuellen, geschützten Schlafplatz, um zur Ruhe kommen zu können. Dies ist für die heutigen Kinder ganz wichtig und durch eine Gestaltung der Kinderbetten, Schlaf-kojen oder Podeste möglich.
Raumkonzept für die über Dreijährigen
Seelisches Eigenleben entwickelt sich im Rollenspiel, z.B. beim Bauen, Malen, Werken, der Essenszubereitung, beim gemeinsamen Essen oder Zuhören im Märchenkreis. Der Raum bildet eine freilassende Hülle, die die Eigenaktivität fordert. Er sollte sich in Zonen für die verschiedenen Aktivitäten gliedern. Das ist wichtig bei der heutigen Gruppengröße von mehr als 20 Kindern, dass sich die einzelnen Gruppen nicht gegenseitig stören. Die Kinder müssen ganz eintauchen können in das Eigenerleben in ihre eigene seelische Entwicklung durch die Fantasie. Stärker wirkt diese Raumesgliederungen, wenn sie durch Gestaltungen im Grundriss und durch unterschiedliche Höhen der Decke unterstützt werden. Die Helligkeit im Raum sollte an die Aktivitäten angepasst werden können. So ist für den Erzählkreis eine ganz andere Licht – Stimmung erforderlich als für den Bereich in dem die Werkbank steht und handwerklich gearbeitet wird.
Wie kann die Architektur die Entwicklung des Kindes und die Arbeit der ErzieherInnen unterstützen? Dazu einige Ausführungen zu den Raumeselementen.
Der Boden muss sicheren Halt geben, damit sich die Kinder aufrichten können. Danach sind Material und Farbe zu wählen. Am Besten eignet sich dafür ein mit rötlichem Öl eingefärbter Korkbelag. Dieser ist leicht elastisch, von der Oberflächentemperatur wärmer und gut zu reinigen. Leider ist er nicht so strapazierfähig und sollte im Hausschuhbereich eingesetzt werden. In beanspruchteren Bereichen sind Linoleumböden eine Alternative. Der rötlich braune oder auch grüne Farbton bietet den Kindern einen sicheren Grund für die Entwicklung.
Die Wände fest und unverrückbar, sie tragen Decke und Dach. Sie bilden den Schutzraum für die Entwicklung. Eine feine Putzstruktur zeigt die Materialhaftigkeit an der Oberfläche. Sie darf aber nicht zu scharfkörnig sein. Durch die Ausbildung von abgerundeten Fensterleibungen und Wandkanten haben wir die wahrnehmbare Massivität der Wand gesteigert. Die Wand ist der Hauptträger der Farbe und Raumfarbstimmung. Durch eine Wandlasur schaffen wir so einen schützenden, für die Entwicklung des Kindes offenen Raum, der Geborgenheit vermittelt. Durch eine an die Wandfarbe angepasste Sockelleiste steht die Wand gut und fest.
Die Decke schließt den Raum nach oben ab, sie soll schützen, aber nicht bedrängen. Eine horizontale, gerade Decke wirkt häufig drückend bzw. wirkt durchhängend, vor allem dann, wenn sie zu nieder ist. Dem kann dadurch entgegengewirkt werden, dass Decken überwölbt ausgeführt oder noch stärker plastisch gestaltet werden. So entsteht die Empfindung der inneren Freiheit und Aufrichtekraft. Wichtig ist aber, dass die Decke auf der Wand aufsitzt und von ihr getragen wird. Wird die Lasur der Wand auch über die Decke geführt, bildet dies eine gute Farbhülle für alle Aktivitäten. Die Decke ist meist auch Träger der Akustikmaßnahmen.
Die Fenster sollten nicht zu groß sein und senkrechte Formate haben oder senkrecht gegliedert sein, dann ist an Ihnen die Aufrechte zu erleben. Die Fensterbrüstung, möglichst in unterschiedlicher Höhe, schließt den Raum und schaft eine intime Hülle. Ohne Brüstung fließt der Raum nach draußen. Schön ist eine mehrseitige Belichtung, das erhöht die Plastizität und Sinnlichkeit. Sprossen in den Fenstern lassen durch die Bewegung des Schattenbildes im Raum den Lauf der Sonne erleben. Die unterschiedlichen Brüstungshöhen schaffen geschützte Zonen am Boden und auch vor dem Fenster. Tief liegende Fensterbänke laden dazu ein darauf zu Spielen oder zu sitzen, zum Beobachten, was draußen geschieht, um vielleicht den Regentropfen nach zu träumen. Hoch liegende Fensterflügel wiederum lassen sich nur von Erzieherinnen bedienen, das schafft Sicherheit und die Dekoration kann auf der Fensterbank beim notwendigen Lüften verbleiben. Durch bewegliche, farbige Jalousien und Vorhänge kann die Lichtstimmung und -intensität und Farbigkeit im Raum, je nach Aktivität, gesteuert werden.
Licht hat eine Beziehung zum Bewusstsein, es kann Sonnenlicht und künstliche Belichtung sein. So kommt dem Umgang mit dem Licht eine wichtige Aufgabe für die Raumstimmung zu. Im Licht wachen wir auf, sind mit den Sinnen außer uns. Damit die Kinder im Träumen sich geschützt entwickeln können, sollte das Licht im Krippenbereich gedämpft, nicht zu hell sein. Die Kinder sollen ganz bei ihrer Körperlichen Entwicklung bleiben können, ohne allzu viele Ablenkungen aus der Umwelt. Hier geht es ja noch um die körpereigene Wahrnehmung.
Für die älteren Kinder sollte das Licht den Aktivitäten angepasstem sein. So entsteht ein Spannungsfeld von gedämpfter, warmer Lichtfarbe zum Träumen und Geschichten hören und zu kühlerem, schattenreicherem Licht zum Werken.
Die natürliche Belichtung ist zu bevorzugen. Die künstliche Belichtung sollte die Qualität voll unterstützen und ergänzen. Gut ist, wenn die Beleuchtung dimmbar ist, noch besser, wenn sie sich auch in ihrer Lichtfarbe verändern kann. Als Ersatz für das Glühlampenlicht können wir eine Kombination von Halogen- und LED-Leuchten einsetzen und so die Lichtfarbe -Qualität und -intensität steuern.
Farbe
Für eine Kita sollte auf jeden Fall ein Farbkonzept entwickelt werden, das sich wie die Architektur an den Bedürfnissen orientiert. Die Farbkonzeption belebt und steigert das erleben der Architektur. Hier hat Farbe nichts mit Geschmack zu tun. Farbe spricht den Menschen im mittleren, dem seelischen Bereich an und gibt den Räumen Empfindungsqualität. Die Farbwahl für die Kita ergibt sich aus der Grundthematik der Hüllenbildung und der Nutzung in diesem erweiterten Sinne. Für die Gruppenräume sollte eine frei lassende, hülleschaffende Grundfarbigkeit zwischen rosa und lachsfarben gewählt werden, die Wände und Decken einbindet. In den Fluren und Garderoben kann die Farbigkeit durch Farbwechsel Impulse geben. Hier ist ja Leben und Bewegung.
Durch die Lasurtechnik ist eine differenzierte Farbgestaltung möglich. Die Farben werden in mehreren transparenten Schichten unterschiedlicher Farbigkeit aufgetragen. So kann eine kräftige Farbigkeit entstehen, die nicht bedrängt. Die Wandflächen wirken lebendig und sind stark von wechselnden Lichtstimmungen geprägt. Es entstehen vielfältige, immer wieder neue, belebende Sinneseindrücke. Die im Tagesverlauf wechselnden Lichteinfälle beleben die Farbwirkung der Lasurtechnik. Enge und Weite von Aktivitäts- und Rückzugsbereichen werden durch die Farbgebung unterstützt, verstärkt und machen so die Funktionsbereiche auf allen Wahrnehmungsebenen erlebbar.
Die Akustik in den Kitas wurde über Jahre vernachlässigt. Der Geräuschpegel bei 24 Kindern ist eigentlich nur mit Gehörschutz auszuhalten. Auffällig wurde dies, als die Schwerhörigkeit der ErzieherInnen zunahm. Gerade für das Erlernen der Sprache ist eine gute Verständlichkeit im Raum Voraussetzung. Aber auch damit die Kinder ihren unterschiedlichen Aktivitäten ohne Störung und Ablenkung nachgehen können. Am einfachsten kann die Raumakustik durch eine wirkungsvolle Akustikdecke beherrscht werden.
Arbeitsplatz der Erzieherin
Nicht vergessen dürfen wir, dass die KITA auch Arbeitsplatz für die ErzieherIn ist. Da gilt es, neben den gesetzlichen Vorschriften und Verordnungen auch deren Bedürfnisse zu berücksichtigen. Die Arbeitsabläufe im und vor dem Gruppenraum sollten gut organisiert sein, so dass kein Stress bei der Arbeit mit den Kindern aufkommt. Es sollte so gestaltet sein, dass es möglichst kein Nein für die Kinder gibt, es muss für alles ein Ja geben können. Die Architektur soll eine positive Stimmung vermitteln. Wir haben oben gesehen, wie wichtig die Vorbildfunktion der ErzieherInnen für die Entwicklung ist. Nur zufriedene, ausgeglichene PädagogInnen können ein positives Vorbild sein! Die Architektur schafft die Hülle für das soziale Leben der Kindern und ErzieherInnen in der Erziehungskunst gelebt wird.
Vieles was hier angeschnitten wurde, lässt sich auch auf die Gestaltung der Außenbereiche anwenden. Dies ist jedoch nicht Gegenstand dieser Ausführung.
Lebendig organische Gestaltung
Schutz, Geborgenheit und Raum für die Entwicklung sind also unsere Ausgangspunkte für die Gestaltung.
Jetzt haben wir viele Kriterien für eine Kitagestaltung aufgeführt. Die Kunst des Architekten ist es nun all diese Anforderungen mit den Realitäten vor Ort, Budget, Bauplatz, rechtlichen Anforderungen usw. in eine Gestalt zu bringen, eine Gestalt, die der Aufgabe Kindertagesstätte gerecht wird. Dies muss durch einen künstlerischen Impuls des Architekten erfolgen. Neben der Erfüllung der aufgeführten Kriterien zur Belebung der sinnlichen Wahrnehmung muss auch etwas Künstlerisches, Geistiges durch die Gestaltung anklingen. So müssen sich, wie in der Entwicklung der Kinder, die oben genannten Gesichtspunkte in einer Metamorphose wandeln, so wie in der kindlichen Entwicklung die Kräfte und Gestaltungsimpulse sich ständig in Verwandlung befinden und die Lebenskräfte zum Schwingen bringen. Durch fließende Formen im Grundriss werden bei den Bewegungen durch und im Gebäude die Lebenskräfte impulsiert.
Die Entwicklung der Senkrechten und die Belebung durch Schwünge sind wichtige formale Ansätze für die Architekturgestalt. So sind die senkrechten Elemente in der Architektur, in Fassadengliederung, Eingangselement, Fensterformat, aber auch bei Möbeln und Einbauten, zu betonen. Durch doppelt gekrümmte Gestaltungen der Decken und Dächer kommen ätherische, lebendige Formen, die wir auch in der Natur sehen, ins Erleben und verwandeln und beleben die aus festem Material bestehende Architektur. Durch solch eine Dachgestaltung kann z.B. das Beschützen, das der Pädagogik als Ansatz dient, auch in der Architektur sichtbar werden. Das Kind erlebt so die in ihm wirkenden leiblich gestaltbildenden Kräfte an der Architektur. Zur Bewältigung dieser Aufgabe, einer geist erfüllten Gestaltung, kann der lebendig organische Gestaltungsimpuls einen wesentlichen Beitrag leisten.
Es sollte heute eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Auswahl der Baustoffe und Materialien, auch in Hinsicht auf kommende Generationen, weitgehend ökologischen, baubiologischen und nachhaltigen Gesichtspunkten entspricht. Diese Gesichtspunkte dürfen aber nich Gestaltprägend sein sondern müssen sich aber der Gestalt die sich aus der Aufgabe entwickelt dienen.
Suche nach dem zukünftigen Wesen
Mit diesem Beitrag sollen Anregungen für die individuelle Gestaltungsansäzte gegeben werden. Die Rahmenbedingungen und Anforderungen der Bauaufgaben sind viel zu unterschiedlich, um sie in gestalterische Regeln oder Rezepte zu fassen. Das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Kinder und für die Entwicklungsgesichtspunkte ist aber die Voraussetzung für ein Gelingen der Bauaufgabe.
Unter diesen Vorzeichen ist in gemeinsamer Arbeit von Erziehern, Eltern, Architekten und allen Beteiligten die Bauaufgabe zu bewegen und die individuellen Kriterien zu entwickeln. Durch dieses gemeinsame Ringen werden sich Kräfte entwickeln, die Wesenhaftes, aus der Zukunft hereinwirkendes als geistigen Impuls erfahrbar machen. Im schöpferischen Prozess des Entwurfes kann sich dieses Wesenhafte dann als individuelle Gestalt zeigen. Die Kinder brauchen die Offenheit damit sie die Kräfte für ihre Zukunft entwickeln können. Um der Aufgabe gerecht zu werden, müssen auch wir die Architektur aus diesen Zukunftskräften gestalten.
Der Artikel wurde im „M+A“, Nr. 85-86, 2016, veröffentlicht.
Alle Bilder von Martin Riker