Thema:

Aufgaben einer zeitgemäßen organischen Gestaltung

image_pdfimage_print
D. Cardinal – National Museum of American Indian, Washington DC, USA, 2004 – © L.Fiumara

Veränderungen in der Architektur und in der Gesellschaft. 

Für viele Jahrzehnte, seit der Zeit ihrer Entstehung, war die organische Architektur ein Gegenpol zum herrschenden Funktionalismus und zum damit verbundenen materialistisch-wissenschaftlichen Denken. Die Unterschiede zwischen beiden Lagern waren auch formell deutlich erkennbar, eigentlich so erkennbar, dass viele – besonders Laien – hauptsächlich die äußeren Merkmale erkannten, oft ohne zu wissen, was der inhaltlicher Unterschied sei. Aus diesem Grund wurde und wird immer noch die organische Architektur von vielen irrtümlicherweise als äußerlichen Stil und nicht als Ansatz gesehen. Selbst einige organisch-gesinnten Architekten sind mehr oder weniger bewusst in diese Stimmung hineingeraten und haben sich wenig um die Vertiefung der Intentionen und Hintergründen bemüht, manchmal nur gewisse formale Lösungen der Meister nachahmend. Schon mit dem Postmodernismus hat sich allerdings die Lage grundsätzlich geändert. Die Suche nach menschengemäßen, lebendigeren und gesünderen Lösungen hat auf unterschiedlichen Wegen mehrere Architekten dazu geführt, Aspekte des organischen Ansatzes in die eigene Arbeitsweise aufzunehmen. Themen, die für die Funktionalisten Tabu waren und sind, wie z.B. der Schein des Lebendigen (mit Worten Rudolf Steiners) oder der individuelle Ausdruck in den Bauwerken, können heute im Werk von Stararchitekten, die sich nicht als organische Architekten verstehen, wie Frank Gehry, Zaha Hadid, Norman Foster und andere teilweise mehr als bei den organischen Gestaltern in Vordergrund stehen. Ab den neunziger Jahren kann man eine starke, allgemeine Tendenz zur Schaffung von Organismen-ähnlichen Bauten beobachten. Dieses Phänomen hat eine starke Selbstverständnisfrage unter den organischen Architekten aufgeworfen, eine Frage die bisher meines Erachtens keine deutliche Antwort bekommen hat. Parallel zur erwähnten Tendenz kann man aber, nach Ende des Postmodernismus, eine neue mächtige minimalistische und konzeptuelle Welle in der Weltarchitektur wahrnehmen, die auf dem Plan der Zahlen von realisierten Bauten sicherlich in absoluter Mehrheit ist.  Auf der kulturellen und gesellschaftlichen Ebene findet man eine ähnliche Lage: einerseits wachsende spirituelle Strömungen, die bis in die Massenkultur reichen (siehe Filme wie „Cloud Atlas“ zum Thema Wiederverkörperung oder ganze Reihen von buddhistisch-inspirierten Filmen), andererseits die immer stärkere Verbreitung von materiellen Lebenswerten und der materialistischen Denkweise in der Kunst, in der Wissenschaft und im Alltagsleben. Es ist nicht damit gemeint, dass die Tendenzen in der Gesellschaft einen direkten und eindeutigen Ausdruck in der Architektur finden. Unterschiedliche spirituelle Bewegungen haben auch unterschiedlichen Neigungen im Bereich der Gestaltung. Was gemeinsam ist, ist das Auftreten einer starken Polarisierung sowohl in der Gesellschaft als auch in der Architektur, so dass man heute nicht mehr über ein Main-stream (wie früher der Funktionalismus) und über eine kleine, in der Öffentlichkeit wenig beachtete Nische (wie damals die organische Architektur) sprechen kann, sondern über einen Kampf zwischen vergleichbar starken Impulsen, die die ganze Gesellschaft ergreifen. Auch in der organischen Architektur kann man in den letzten 20 Jahren vergleichbare Prozesse sehen, mit der Entstehung eines ziemlich verbreiteten „organischen Minimalismus“ – teilweise auch aufgrund von wirtschaftlichen und vorschriftlichen Bedingungen – einerseits, und dem Interesse, manchmal mit öffentlichem Erfolg – wie im Falle von Gregory Burgess, Javier Senosain, Douglas Cardinal, Santiago Calatrava -, für deutliche und gar verschärfte, formal erkennbare organische Lösungen andererseits. Es ist auch zu bemerken, dass selbst der Begriff „organische Architektur“ eine immer breitere Resonanz und Anwendung erfahren hat. 

S.Calatrava – Stadelhofen station, Zurich, Switzerland, 1990 – © L.Fiumara


 
Bedürfnisse hinter den Zeitphänomenen 

Die Beschriebene Situation stellt den organischen Architekten verschiedene Herausforderungen. Das Interesse für viele Aspekte der organischen Gestaltung und das Auftauchen ihrer Ansätze an manchen Stellen der heutigen Architektur sprechen über ein teils bewusstes, teils unbewusstes Bedürfnis einer gewissen Anzahl unserer Zeitgenossen. Dieses Bedürfnis beinhaltet, stichwortartig, das Erlebnis von geistigen und wesenhaften Qualitäten, die Suche nach einer sinnvollen Beziehung zwischen Bauten und Umgebung, die Schaffung eines je nach Funktion des Gebäudes individuell-gestalteten, dem seelischen Leben und den Lebenskräften entsprechenden Raumes, um nur die auffälligsten Punkte zu nennen. Diese tauchen heute mal zusammen, mal vereinzelt, bei Auftraggebern, die nicht ausgesprochen, aus ideologischen Gründen eine organische Gestaltung suchen, auf. Ich könnte aus der eigenen Erfahrung mehrere Fälle nennen, wo Menschen, die keinen gestalterischen oder anthroposophischen Hintergrund haben, nach der Begegnung mit Beispielen von organischer Gestaltung solche als der Ausdruck ihrer tiefliegenden Wünsche erkennen. Was mich oft in diesem Zusammenhang erstaunt, ist die Fähigkeit der Menschen, die Qualitäten der Architektur zu erleben und zu beschreiben. Es gibt eine große Anzahl Bauherren, die die Wirkung der Gebäude auf sich erstaunlicherweise sehr gut beobachten können. Diese heute verbreitete Eigenschaft, die meines Erachtens mit der allgemeinen Entwicklung der Menschheit zusammenhängt, fordert von den Architekten ein entsprechendes Bewusstsein und die Fähigkeit, auf die spezifischen, äußeren und inneren Bedürfnisse jedes Individuums einzugehen, und sie mit den allgemeinen Bedürfnissen der heutigen Menschen zu verbinden, denn jedes Bauwerk, auch wenn für einen konkreten Auftraggeber geplant, hat immer auch eine öffentliche Seite und ist ein Glied des städtebaulichen Organismus. Die Wahrnehmung des Geistig-Wesenhaften in der Architektur ist zum Beispiel einer der wichtigsten Aspekte, die das moderne Bedürfnis nach Entwicklung der Individualität befriedigen können. Das ist der Grund, weshalb er auch nur intuitiv oder gar unbewusst immer häufiger auch außerhalb der organischen Bewegung auftaucht. Ähnliches kann man im Bezug auf Qualitäten wie die Dynamik, der Schein des Lebendigen, die Formverwandlung (wenn nicht direkt Metamorphose), das Erleben von Polaritäten und manches Andere sagen. Alle diese Aspekte können auf das Bedürfnis nach spiritueller Entwicklung des Menschen zurückgeführt werden, denn sie verhelfen, die inneren Fähigkeiten auszubilden, die für eine bewusste Wahrnehmung des Geistigen notwendig sind. 

Die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Fähigkeiten

Wenn man als Architekt diesen Bedürfnissen entgegenkommen will, muss man selber einen Sinn für die beschriebenen Qualitäten und Prozesse entwickeln. Das war so schon bei den Anfängen der organischen Gestaltung und man kann sehen, wie ihre Pioniere auf verschiedenen Weisen versucht haben, sich in den geistigen Inhalt der Welt zu vertiefen. Heute aber ist diese Aufforderung noch stärker da, weil die Suche nach geistigen Erkenntnissen und selbst die Entwicklung von übersinnlichen Wahrnehmungsfähigkeiten – wie schon früher angedeutet – in immer breiteren Schichten der Gesellschaft vorhanden sind. Die Tendenz, die häufig auch unter den Architekten-Anthroposophen zu finden ist, in der Öffentlichkeit die Befriedigung von geistigen Bedürfnissen durch die organische Gestaltung nicht in Vordergrund zu stellen oder gar nicht zu erwähnen – vielleicht wegen der Befürchtung, nicht verstanden oder nicht akzeptiert zu werden – führt zu einem unvollständigen und dadurch nicht überzeugenden Bild der Ziele der organischen Architektur. Zum Zweck der Entwicklung eines zeitgemäßen organischen Ansatzes, ist es in erster Linie notwendig, sich erneut über seine Aufgaben im Lichte der Zeitlage zu besinnen. Wenn man das tut, kommt man auch leicht zur Einsicht, dass die Bestrebung nach der Erfüllung solcher Aufgaben von der Fähigkeit des Entwerfers abhängt, in die tieferen Schichten der Wirklichkeit, die mit Lebens-, Seelen- und Geisteskräften verbunden sind, einzutauchen. Das betrifft z.B. das Verständnis für die Bauherren in ihrer seelischen Konstitution und in ihrem Schicksal und Entwicklungspotential, das Verständnis für den Ort mit seinen Lebenskräften und Geisteswesen, das Verständnis für die Funktion des Gebäudes nicht nur in ihren physischen Aspekten, das Verständnis für die Zeitlage und für die kulturelle Umgebung, in der das Projekt eingebettet sein wird und vieles Anderes. Gerade in dieser Intention, die Welt und die Bauaufgabe mit allen ihren Facetten und Bedingungen auf den verschiedenen Ebenen – von der physischen bis zur geistigen – besteht meines Erachtens der Hauptunterschied, zwischen der organischen – und besonders der anthroposophisch-inspirierten – Architektur und anderen Ansätzen, die aber manchmal auch – vorwiegend unbewusst – zu ähnlichen Resultaten gelangen. Neben den Wahrnehmungsfähigkeiten, die jeder in seiner Konstitution trägt, kann man durch Übung und mit Hilfe der Erfahrung neue Entwickeln. Darin besteht ein großer Teil der Arbeit deren, die organisch gestalten möchten. Damit ist nicht gemeint, dass ohne übersinnliche Wahrnehmungen kein organisches Gestalten möglich sei. Schon das Denken ist eine übersinnliche Tätigkeit, und die Frage besteht darin, in wie weit man es verlebendigen kann, um zur Wahrnehmung von geistigen Zusammenhängen zu kommen. Ähnliches kann man über das Fühlen, das – durch die Befreiung von den Emotionen und von der Subjektivität – auch ein Wahrnehmungsinstrument werden kann. Auf jeder Stufe der persönlichen Entwicklung kann der Architekt sich bemühen, so gut wie möglich die übersinnlichen Aspekte der Bauaufgabe zu erleben. Wichtig ist zu verstehen, dass die Menschheit noch am Anfang der Entwicklung von neuen Wahrnehmungsfähigkeiten steht, aber dass es deswegen wichtig ist, sich um diese Entwicklung zu bemühen. Dasselbe ist gefordert in allen Bereichen: in der Medizin, in der Pädagogik, in der Landwirtschaft usw. Die Frage der Entwicklung von Wahrnehmungsfähigkeit ist besonders relevant im Zusammenhang mit dem Thema einer positiven zeitgemäßen Gestaltung, weil sie nur durch ein echtes und bewusstes Erlebnis des sich verändernden Charakters der Zeit möglich ist. Die Nachahmung oder, im besten Falle, das Nachschöpfen auf der Grundlage der Arbeit der Pioniere der organischen Bewegung, die eine deutliche Wahrnehmung der Notwendigkeiten der Zeit hatten, konnte zu zeitgemäßen Ergebnissen führen, so lang der Zeitgeist sich nicht zu sehr verändert hatte. Heute ist das zeitgemäße Gestalten in Anlehnung auf ältere Beispiele nicht mehr möglich, sondern es braucht dafür eigenständige und fundierte Einsichten. 

Das Auftreten des Wesenhaften in der Architektur

Als ein Beispielphänomen für diese Art von Beobachtung kann – neben der schon am Anfang erwähnten Tendenz zur Erscheinung von Organismen in der zeitgenössischen Architektur – das Auftauchen von wesenhaften Erscheinungen im inneren der Bauten genommen werden. Sehr auffallend in diesem Sinne ist die tropfenähnliche Decke des hyperboloidischen Teils der BMW-Erlebniswelt in München von Coop-Himmelb(l)au. Wenn man sie anschaut, kann man den Eindruck haben, dass ein fremdes, mysteriöses Wesen in den Raum herabsinkt. Einen vergleichbaren Effekt hat man in der DZ-Bank von Frank Gehry in Berlin, wo inmitten eines ziemlich konventionellen Baues eine wilde Gestalt auftaucht. Ich glaube, dass solche Lösungen mit dem immer häufiger auftreten von übersinnlichen Erlebnissen im Bewusstsein (der Innenraum) der heutigen Menschen und mit der Sehnsucht danach verbunden sind. Zu dieser Einsicht kann man mit einer gewissen Sicherheit kommen, wenn man die erwähnten Beispiele im Zusammenhang mit anderen Phänomenen der Kultur – z.B. Filme wie „Matrix“ oder „Der Herr der Ringe“ – anschaut. Ein Beispiel von organischer Gestaltung, wo versucht wird an dieses Bedürfnis anzuschließen, ist meines Erachtens der Festsaal des Rudolf-Steiner-Schule in Salzburg von Jens Peters. Mitten in der welligen Decke des Saales ist ein transluzentes Oval zu sehen, das Licht hereinlässt und das wie eine immaterielle Erscheinung im Farbenflut auftaucht. Der große Unterschied mit dem BMW Gebäude ist, dass die Helligkeit des Ovals und ihre Einbettung in die Lasur eher eine freundliche und freudige Qualität haben, im Gegensatz zum panzerartigen, wurmigen und dunklen Charakter des Tropfes von Coop-Himmelb(l)au. Ein ähnlicher Ansatz gibt also unterschiedliche Resultate je nachdem, in welche Wesensstimmung der Entwerfer sich hineinversetzt hat. Damit ist keine Beurteilung über die Berechtigung der verschiedenen Lösungen angesichts der unterschiedlichen Kontexte gemeint. 

 

Coop Himmelb(l)au – BMW Welt, München, 2007 – © L.Fiumara
BPR – Festsaal der Rudolf-Steiner-Schule, Salzburg, Österreich – © M.Lohl

 

Durchsichtigkeit im Innern

BPR – Hauptverwaltung der Weleda AG. Schwäbisch Gmünd – © L.Fiumara

Ein weiteres Beispiel der Veränderung des Zeitgeistes kann die wachsende Durchsichtigkeit innerhalb der Gebäude und die Möglichkeit, verschiedene Raumschichten simultan durchzuschauen, sein. Das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart von UN-Studio – wie auch andere Projekte von Ben van Berkel –  ist nach diesen Prinzipien gestaltet. Von jeder Schleife der dreiblättrigen Rampe gewinnt man durch den zentralen dreieckigen Raum immer neue Einblicke in die anderen gegenüberliegenden Schleifen. Am Rande der Rampe, an den äußersten Stellen, öffnen sich durch Verglasungen auch vertikale optische Verbindungen mit den unteren Ebenen. Die Durchsichtbarkeit und die visuelle Raumdurchdringung können zu einem Erlebnis der Möglichkeit des inneren Schauens und der Durchdringung von verschiedenen Seelen- und Geistesschichten, was durchaus einem wachsenden Bedürfnis – man denke nur an die Entwicklung und die Verbreitung der Psychologie und der Psychoanalyse – der Gegenwart entspricht. Erste Versuche in dieser Richtung im organischen Bereich kann man in den 60er – 70er Jahren im Werk von Giovanni Michelucci, am stärksten in der Kirche von Borgomaggiore (Republik von San Marino), finden. Ein zeitlich näheres Beispiel, das die visuelle Durchdringung der Räume thematisiert, ist das Weleda -Verwaltungsgebäude in Schwäbisch-Gmünd des Büros BPR in Stuttgart. Auch hier kann man von der oberen Etage durch Verglasungen auf die unterstehenden Atrien, die mehrere Stockwerke vertikal verbinden, und durch eine andere Verglasung ins Freie und auf gegenüberliegende Teile des Baues schauen. Man kann sogar noch hinter der Glasfassade des Konferenzsaales den Innenraum sehen. Damit vertieft sich der Blick durch vier Raumschichten und drei Verglasungen, von innen nach außen ins Freie und dann wieder nach innen. 

 

Befriedigung der seelische und geistige Bedürfnisse

Das Besondere des Umgangs der organischen Architektur mit den Tendenzen der Zeit sollte wiederum in der Vertiefung ihrer geistigen Grundlagen und im Versuch, die entwicklungsfördernden Aspekte solcher Tendenzen zu greifen und zu entfalten, liegen. Das ermöglicht, nicht nur passiv die allgemeinen Trends mitzumachen, sondern manchmal sie auch in neue Richtungen zu wenden oder Einseitigkeiten auszugleichen. Ein Beispiel dafür können die möglichen Haltungen gegenüber der Wiederverbreitung des Minimalismus und der „Sachlichkeit“, die in den letzten Jahren zum großen Teil mit Fragen der Energieeffizienz und der Ökonomie der Mittel im Zusammenhang stand. Das hat geführt zur Entstehung einer weitgehend seelenlose Architektur und hat, wie am Anfang des Artikels erwähnt, die organische Gestaltung der letzten Jahrzehnte stark beeinflusst. Es wiederholt sich – unter anderen Bedingungen – der Prozess, der zur Verbreitung des Rationalismus teilweise aus wirtschaftlichen Gründen brachte. In diesem Fall kann die Aufgabe der organisch Gestaltende sein, zu zeigen wie man –  mit Rücksicht auf die neuen Aufforderungen – Bauten schaffen kann, die die seelischen und geistigen Bedürfnissen der Menschen befriedigen. Mit dieser Frage hat sich sogar Rudolf Steiner schon beschäftigt, als er das Haus Schuurman und das Transformatorenhaus in Dornach entwarf. Bei Frank Lloyd Wright kann man auch – besonders in den Usonian Houses – dieses Anliegen finden. Die Arbeit von Erik Asmussen und die späteren Entwürfe von Winfried Reindl waren erste Versuche im anthroposophischen Bereich, ein Gleichgewicht zwischen Organik und Minimalismus zu finden. Ich würde allerdings nicht meinen, dass diese Richtung die einzig mögliche für unsere Zeit sei. Die Auseinandersetzung mit der Reduzierung der Mittel und der Formensprache ist das eine Pol der zeitgenössischen Architektur. Auf der anderen Seite, werden auch heute immer mehr komplizierte und ausdrucksvolle, manchmal wilde Gestaltungen erzeugt. Das gehört zu unserer Zeit genau so, wie die Reduzierung, und damit können sich die organischen Architekten auch beschäftigen, um auch die expressive Kraft, die schon am Anfang des 20. Jahrhundert in seiner extremsten Erscheinung bei Hermann Finsterlin zu merken war und die heute – dank dem technischen Fortschritt – auch verwirklicht werden kann, mit einem Bewusstsein der Menschenbedürfnissen und des Geistigen in der Welt zu verbinden. Die Projekte von Douglas Cardinal und von Gregory Burgess sind Beispiele dieser Möglichkeit, in dem sie die ausdrucksvolle Gestaltung aus der Funktion und aus dem Kontext des Gebäudes entstehen lassen. 

 

Winfried Reindl (Portus Bau) – Waldorfschule, Offenburg – © L.Fiumara

Diese kurzen Hinweise auf Merkmale der Zeitlage sind nur kleine Beispiele, um die dargestellte Herangehensweise zu verdeutlichen. Ich bin überzeugt davon, dass eine wichtige Aufgabe der organischen Architekten heute sei, sich immer mehr in das Verständnis der Entwicklungen der Gesellschaft zu vertiefen und miteinander eine Art forschendes Gespräch zu diesem Thema zu führen, um die unterschiedlichen Gesichtspunkte und Wahrnehmungen zu ergänzen. Das kann eine inhaltliche und ideelle Grundlage für einen gemeinsamen Einsatz in der modernen Welt bilden.

Veröffentlicht in M+A 99-100, 1/2019

Translate »
Back to Top ↑